Zahmer Kaiser - Überschreitung

Winni Mühlbauer - Trailrunning - Zahmer Kaiser - Überschreitung: Naunspitze - Petersköpfl - Pyramidenspitze - Öchseweidkar- 5.10.18


05.10.18
Zähler und Nenner
Winni

Um 9:30 Uhr starte ich am Parkplatz "Kaisertal". Über 285 meist flache Stufen (gezählt, nicht von mir) geht es steil bergan und ich gewinne rasch an Höhe. Gefühlt waren es 100 Stufen, die nach 5 Minuten hinter mir lagen. Die ersten 200hm von ingesamt 1700hm sind schon mal geschafft. 20km wird die Runde lang.

Nach dem ersten Gasthof auf dem Kaisertalweg, dem Veitenhof, beginnt das Fighten: linker Hand geht es in den Wald hinein und auf breitem Wanderweg barrierefrei aber steil hinauf zur Ritzau Alm (1161m). Umgeschaltet auf den Speedhikingmodus mit langen Schritten und Druck mit den Händen auf die Oberschenkel komme ich rasch voran. Bald stehe ich vor der Alm am westlichen Ausläufer des Zahmen Kaiser und schaue hinauf zu meinem ersten Gipfel heute, die Naunspitze in exponierter Lage. Ein wenig beneide ich die wenigen Gäste, die es sich auf der sonnigen Terrasse gemütlich gemacht haben. Zeit für Selbstmitleid bleibt jedoch nicht, ich muss Gas geben, ist doch diese Runden für viele Wanderer eine Zwei-Tages-Tour.

Ein paar Kehren auf dem Wirtschaftsweg weiter und 220m höher lande ich kurz vor der Vorderkaiserfeldenhütte (Vkf-Hütte, 1389m) am Abzweiger in Richtung Pyramidenspitze (unten herum gegen den Uhrzeigersinn), und stehe schon wieder vor so einem depperten Schild "Gesperrt, wg. Baumrodung von 1.10 bis 1.11.). Dieser Wegabschnitt ist aber für mich von oben kommend eingeplant, sonst wird es keine Runde. In der Vkf-Hütte sagt man mir, dass nur ganz selten gerodet wird. Meine Planung bleibt. Welcher Tiroler arbeitet schon am Freitagnachmittag im Wald!

Vorbei an der Vkf-Hütte geht es endlich auf den ersten Trail - nach 800hm und ca. 5km. Der Pfad ist verblockt und wurzelig - und kurz. Bald stehe ich vor dem schrofigen Gipfelaufbau. Neben einer unrund zu gehenden Stelle ist der felsige Weg zum Kreuz (1633m) problemlos. Oben dann ein phantastischer Ausblick in alle Richtung, vor allem hinunter ins Inntal. Ich kraxle wieder runter, laufe den Pfad weiter, schaue mir im Rückblick nochmal die Naunspitze an und erreiche durch eine kurze Latschengasse seinen hundert Meter höher gelegenen Nachbarn, das Petersköpfl (1745m). Der Blick hinunter ins Inntal wieder beeindruckend.

Dann schaue ich auf meinen Weiterweg: grüner geht es kaum. Latschen, dicht an dicht. Da sollte sich doch ein flowig zu laufender Trail hindurch schlängeln. Wunschkonzert! Die Realität sieht leider anders aus. Holprig und verblockt ist das, was sich auf dem gesamten Plateauweg bis zur Pyramidenspitze durch Mulden und über Buckel dahinschlängelt. Selbst schnelles Wandern fällt schwer. Ich hinterfrage mein Tun. Irgendwann kommt mir Bruchrechnen in den Sinn. Zähler und Nenner. TRAIL:RUNNING. Natürlich wünscht man sich als Trailrunner flowige Pfade, wo zwei, drei Kilometer rasch verputzt sind. Dass sich solche Pfade eher im Bergwald finden, ist auch klar. Dass aber hier oben auf dem breiten Kamm des Zahmen Kaiser solch laufbare Pfade eine Rarität sind, damit hatte ich nicht gerechnet.

In Anbetracht des besonderen Charms dieser grünen Hügel hier oben auf dem Berg, besinne ich mich jedoch darauf, dass nicht der Nenner das Wichtigste ist, sondern der Zähler: Das, was zählt, ist der Trail.

Laufen wird also zur schönsten Nebensache heute, jedenfalls bis zur Pyramidenspitze, und so balanciere ich über Felsblöcke, springe über Wurzeln und Steine, bleibe stehen und gucke in die Chiemgauer Alpen, passiere Einserkogel (1924 m) und Zwölferkogel (1912 m), klettere einen mit Drahtseil gesicherten Kamin, das Vogelbad (1876m), hinunter, kann sogar den Tiefblick über die senkrecht verlaufende Spalte hinaus genießen und freue mich, unten angekommen, nach rechts einen sicheren Weiterweg unter den Füßen zu haben, der mich kurz über Schnee hinweg nach insgesamt 10km hinauf bringt auf die Pyramidenspitze (1997m).

Welch grandiose Aussicht! Welch tolle Panoramen! Wiedermal schwelge ich ob der steilen Felswände und wilden Spitzen unter blauem Himmel. Wie schon auf der Naunspitze ist es fast windstill und warm. Um diese Jahreszeit auf knapp 2000m Höhe. Ich gönne mir ein längeres Verweilen, weil ich mit der Zeit gut hinkomme und das Ende der Runde kenne. Drei Männer mit Helmen und nordischem Dialekt kochen sich aus Schneewasser Tee und haben es ganz wichtig. Erst dachte ich, die sind den Klettersteig durch die Abstürze des Winkelkars hochgekommen, aber nein, es ging durchs Öchselweidkar. Zwar sehr steil aber sonst ganz hübsch, wie sich noch herausstellen wird. Denn da geht es für mich hinunter. Aber erst, nachdem ich zu Mittag gegessen und ausgeschwelgt hatte, was schwer fiel.

Ich liebe diesen Blick hinunter in ein Kar, in die kesselförmigen Eintiefungen an Berghängen unterhalb von Gipfel- und Kammlagen, besonders wenn sie breit und sonnendurchflutet sind, wie heute das Öchselweidkar. 600hm geht es auf 2km hinunter. Das, was zählt, ist der Trail, und das, was es zu sehen gibt: Der Wilde Kaiser rückt immer näher, Gemsen und noch mehr Gemsen nehmen Reißaus. Weit unten rechts das Inntal. Und ich ganz alleine in dieser kargen Landschaft, mal laufend - wer hätte das gedacht! - mal wandernd, mit riesigem Glücksgefühl im Herzen. Zuletzt quere ich ein Geröllfeld und stehe alsbald vor einer Weggabelung. Links geht es zur Stripsenjoch-, rechts zur Vorderkaiserfeldenhütte. Für mich also rechts und nochmal ein kurzes Stück über Geröll, bevor mich der schattenspendende Wald aufnimmt und mir einen laufbaren Trail unter die Füße legt. Laufbar ja, aber holprig.

Nach 2,5km, kurz vor der Vkf-H., wartet es schon auf mich. Stellt sich mir in den Weg und schaut mich mit ernster Mine an. Möchte, dass ich umdrehe. Ich zeige ihm die Zunge, hebe das Absperrband hoch und schlüpfe durch. Dann peile ich die Lage. Ja, der Hang ist steil, die gefällten Bäume liegen auf einer Länge von gut 50 Meter quer durcheinander, aber wie Wald-Mikado sieht es nicht aus. Hurtig husche ich über die Hindernisse und bin auch schon durch den Parcour. Auch diese Überschreitung wäre also geschafft, und damit die Überschreitung des Zahmen Kaiser.

Ich stehe wenige Meter unterhalb der Vkf-Hütte, genau da, wo ich aufgehört hatte, Musik zu hören, und stöpsel mich jetzt wieder an für den Endspurt hinunter nach Kufstein. Die Stadt liegt auf 600m, entsprechend geht es 800 Höhenmeter auf 5km rasant hinunter. An der Ritzau Alm lege ich eine Stopp ein, trinke an einem Brunnen kaltes Quellwasser und fülle meine Flasche auf, denn die Vorräte (2,5 Liter) sind schon lange weg.

War das heute nun Trailrunning? Nicht wirklich, aber ein grandioser Tag im Kaisergebirge. Ich werde wiederkommen.

Hier die Etappen: Kufstein - Ritzau Alm - Vorderkaiserfeldenhütte - Naunspitze - Petersköpfl - Pyramidenspitze - Öchselweidkar - Vorderkaiserfeldenhütte - Ritzau Alm - Kufstein: 20km/1700hm. (1700hm laut Brouter.de /1970hm zeigt meine TomTom)

Hier die Webcam (5.10.18 - 12:00 Uhr): vom Pendling aus ins Kaisergebirge

Bis bald:
In the meantime: VAN MORRISON : "THE BEAUTY OF THE DAYS GONE BY"

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Blick von Naunspitze ins Inntal

Blick von der Naunspitze ins Inntal


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