Trailrunning Herzogstand zum Heimgarten 9.11.14

Winni Mühlbauer - Trailrunning Herzogstand Herzogstand-Heimgarten-Grat: 9. 11.14


9.11.14
Novemberlich, Novemberlicht
Winni

Wenn man sein Auto auf dem Parkplatz der Herzogstand-Bahn rechts vorne entsprechend parkt, dann nimmt dieser Trail seinen Läufer in nur fünf Metern Entfernung in seine Arme und lässt ihn lange nicht mehr los.

Ich stehe auf dem Gipfel des Heimgartens, hinter mir liegt der Grat, der mich vom Herzogstand hier her brachte. In einen kleinen Streit geraten zwei junge Damen, von denen eine gerade ein Foto von mir geschossen hat. Leider zeigt dieses die Konturen der Berge hinter mir nicht ganz so dramatisch, wie es in Wirklichkeit war, zu schwach schon war das Licht für eine entsprechende Tiefenschärfe. Insgesamt sind wir sechs Personen. Ein weiteres Damenpärchen und ein Wanderer, der meinte, er käme wohl nicht mehr bei Tageslicht unten an. Unausgesprochen waren wir alle wohl glücklich darüber, dass uns der November nach einer Woche mit Schneefall diesen sonnigen und milden Sonntag geschenkt hat, und wir diesen so lange wie möglich auskosten wollen. Die beiden Damen können sich immer noch nicht entscheiden, ob hier runter oder nochmal über den Grat zurück, wegen des Sonnenuntergangs. Die Zeit jedoch für beide drängte, mussten sie doch noch ihren Zug erwischen.

In welche Richtung sie sich dann aufgemacht haben, weiß ich nicht, auf dem Weg nach unten hüllte mich bereits der Mantel der Geborgenheit ein, die Milde und das gedimmte Licht der Novembersonne, das mich still euphorisch werden ließ - glücklich und zufrieden. Das erste Stück dieses Downhills ist relativ steil und technisch anspruchsvoll, dazwischen aber immer wieder flachere Abschnitte, wo man richtig Gas geben kann. Nach etwa 20 Minunten kommt man zu einem Sattel, und von dort zu einem Gegenanstieg, der die Bergab-Muskulatur kurz entlastet. Was dann folgt ist ein absoluter Traumtrail, auf dem man etwa eine Stunde unterwegs ist und alles von Mutter Natur serviert bekommt, was sich ein Trailrunner wünscht.

Keine Menschenseele war hier unterwegs, es war mild, und selten zuvor habe ich mich beim Bergablaufen so wohl gefühlt, wie heute. Dieser Downhill für die Seele hätte an diesem Tag nicht enden sollen.

Um all das erleben zu dürfen, musste ich aber erstmal hinauf. Am Parkplatz vom Trail gepackt ging es los, vom ersten Meter an richtig steil; erstmal Warmlaufen geht anders. Voller Vorfreude auf das, was mich oben erwartet, war ich dynamisch unterwegs, sprang über Stufen und Wurzeln, ließ mich tragen von den vielen Serpentinen, die mit einer kleine Unterbrechung zum Durchschnaufen bis zur Herzogstand-Hütte führten, ließ mich tragen von der Wärme der Sonne, die hier auf dem Süd-Ost ausgerichteten Hang den Schnee völlig weggefressen und die Wege getrocknet hatte. Nach einer Stunde war ich oben und machte einen kurzen Abstecher auf die Sonnenterrasse der Hütte.

Vor mir den Herzogstand mit seinem bekannten Zickzack-Weg und dutzende von sich bewegenden bunten Punkten, lief ich die teilweise gefrorene Berg-Promenade hinauf, auf der Hinz und Kunz mit Oma, Balg und Hund unterwegs sind, hierher spaziert von der Seilbahn aus. Auch wenn das ein wenig abwertend klingt, ich freue mich, dass sie hier sind. Die Fahrt mit der Kabinenbahn kostet nicht viel, und so können Familien ihre Kinder hinein schnuppern lassen in die Bergwelt. So ganz ohne sind die Serpentinen bis zum Gipfel ohnehin nicht. Auch ich stand als Kleinkind hier oben, und der bunte Zickzack-Weg ist eine von ganz wenigen Erinnerungen, die ich an meine ersten Wandertage in den Bergen habe. Ich bin wiederkommen. Nach etwa dreißig Jahren Berg-Abstinenz (Skifahren ausgenommen).

In fünfzehn Minuten war ich oben. So vertraut mir der Gipfel inzwischen war, diesmal bot er mir ein völlig anderes Bild: Waren die Berge und Bergketten sonst weit weg und zeigten sich in abgestuften Grautönen, konnte ich sie heute greifen. Messerscharf traten ihre Konturen hervor und waren räumlich wahrnehmbar. Kochel- und Walchensee glichen Spiegel, royalblau der eine, tiefblau der andere, zudem fehlten die Farbtupfer auf ihnen, im Sommer gemalt von Surfern und Kytern.

Auf dem Gipfel, und nur auf ihnen, blies ein kalter Wind, darum musste ich rasch weiter zum Pavillon. In ihm ergatterte ich noch ein freies Stück Bank, auf das ich meinen Trinkrucksack legte. Inmitten von Müttern, die hier mit ihren Kindern mitgebrachte Stullen aßen, begann ich, mich von meinen drei Schichten Shirts und Hemden zu befreien, da ich das unterste wechseln wollte, um mir nicht schon wieder eine Erkältung einzufangen. Als ich mich auf den weiteren Weg machte, hoffte ich, dass der Duft, den meine verschwitzen Klamotten hinterlassen hatte, ebenso schnell verduftet war wie ich.

Ich hatte es eilig, wollte endlich auf den Grat. Für jemanden wie mich, der nicht weiß, wann sich Höhenangst einstellt, ist der Einstieg zum Grat mit einem Bauchflattern verbunden. Das allerdings legt sich, sobald der erste seilversicherte Abstieg geschafft ist. Auch wenn ich weder Mutter noch Vater der Porzellankiste bin, gehe ich die erste Hälfte vorsichtig an, ist doch auch Vorsicht die Mutter der Weisheit. Und klug ist es allemal, auf diesem ersten Streckenabschnitt besonnen zu laufen, oft stehen zu bleiben, nach unten zu schauen, auf den Weg zurück und auch in die Ferne. Heute habe ich richtig gebummelt, mich auch hingesetzt und die zerklüffteten Felswände des Herzogstands in neuem Licht gesehen - im Novemberlicht. War ich sonst in knapp vier Stunden wieder beim Auto, kam ich diesmal nach genau fünf Stunden an.

An andererer Stelle habe ich es schon gesagt, dass diese beiden Berge und der sie verbindende Grat mein Lieblings-Spielplatz sind. Vom ersten Meter an bin ich auf einem echten Bergpfad unterwegs. Die Strecke mit 13,5 km ist nicht allzu lang, dafür mit ihren 1230 Höhenmeter ambitioniert. Über eine Himmelsleiter schwebe ich von Gipfel zu Gipfel, von Hütte zu Hütte, schwebe von Hochgefühl zu Hochgefühl und blicke tief hinunter, mal nach rechts, mal nach links. Es gibt auch viel zu kraxeln, aber nie ist es ausgesetzt.

Den Forstweg, auf den ich sehr weit unten treffe, verlasse ich auch schon wieder nach 800 Metern, biege nach dem Bach links ab (sonst wird's ein Umweg) und sause einen breiten Wanderweg weiter Richtung Tal. Ein paar Schritte noch auf Asphalt, und schon bin ich am Parkplatz. Dieser liegt direkt am Walchensee, so dass man nur die Straße queren muss, wenn man seinen großen Zehen und alles, was daran hängt, erfrischen will. Angenehm auch, dass der Parkplatz schon beim Start alles bietet, was man und frau so braucht. Ein WC und einen kleinen Kiosk. Man sollte jedoch an Wochenenden früh hier ankommen, da der Parkplatz sich rasch füllt. Da die meisten der Besucher mit der Seilbahn hoch fahren, ist der Uphill nicht überlaufen, ebensowenig der Grat, wobei der Gegenverkehr schon ein wenig bremst. Richtig heftig dagegen ist der Pendelverkehr zwischen Herzogstandhaus und Pavillon. Hier entschädigen die etwas irritierten Gesichter, wenn sie einen bekloppten Trailrunner sehen. Wie oft musste ich am Gipfel schon schmunzeln, als ich von weiblicher Seite gefragt worden bin: "Sie sind doch nicht etwa hier hoch gelaufen?"

Zu sechst standen wir also auf dem Gipfel des Heimgartens, als auch die beiden jungen Damen eingetroffen waren, die Fotos von mir auf dem Grat gemacht hatten. Lustig waren die zwei beim Fotografieren drauf, und mit Blick auf den letzten Kilometer und die 200 Höhenmeter, die hoch zum Heimgarten noch vor mir und ihnen lagen, fragte eine der beiden mit einer Stimme, die leises Entsetzen verriet. “Müssen wir da noch hinauf?” Ich hatte zwar schon eine andere Antwort auf der Zunge, antwortete aber, ja, aber dieses Stückchen ist spannend, und kraxeln dürft ihr auch nochmal. Und das beste kommt dann oben: dann nämlich werdet ihr belohnt mit einem Blick auf den 200 Meter unter euch liegenden Traum-Grat.

Bis zum nächsten Mal.
In the meantime: INSOMNIUM - Through The Shadows (OFFICIAL VIDEO)

Trailrunning Herzogstand zum Heimgarten - 9.11.14

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